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Wenn ein Wissenschaftler Präsident wird

Der frisch gewählte Präsident Estlands war einst ein angesehener Entwicklungsbiologe. Daraus könnte…

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Der frisch gewählte Präsident Estlands war einst ein angesehener Entwicklungsbiologe.

Daraus könnte man schließen, dass nun ein scharfsinniges Staatsoberhaupt an der Spitze des Landes steht. Ein Doktortitel zeugt vielleicht nicht unbedingt von größter Weisheit, weist jedoch trotzdem daraufhin, dass man in seinem Leben einige Bücher gelesen hat, was für einen Präsidenten keine schlechte Eigenschaft ist.

Trotzdem gab es im Laufe der Geschichte eher selten Präsidenten mit akademischen Hintergrund.

Nur ein Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, hatte einen Doktortitel. Unter den derzeitigen Staats- und Regierungschefs Europas haben nur wenige diesen höchsten akademischen Abschluss. Die bekannteste darunter ist wahrscheinlich die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen, der übrigens ebenfalls estnische Wurzeln hat, hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Sowohl der derzeitige italienische Ministerpräsident Mario Draghi als auch Staatspräsident Sergio Matarella haben promoviert. Diese Liste geht noch weiter – all diese Personen sind nur Beispiele, zu denen nun auch der estnische Präsident hinzugefügt werden kann.

In den Medien wird Alar Karis als charismatisches Staatsoberhaupt beschrieben, aber was waren seine wissenschaftlichen Erfolge vor seinem Amtsantritt?

Zusammenarbeit mit den besten Genetikern

Nach der Verteidigung seiner Doktorarbeit am Institut für Veterinärmedizin und Tierwissenschaften der Estnischen Universität der Umweltwissenschaften war Karis der Meinung, dass „einzelne Zellen genug untersucht seien“ und wollte sich auf etwas „Neues“ konzentrieren, wie er dem estnischen Nachrichtenportal Delfi in einem Interview sagte.

Karis setzte seine Arbeit auf dem Gebiet der Molekularbiologie im Estnischen Biozentrum fort. Anfangs arbeitete er an einem Impfstoff für Kälber.

Als Estland 1991 seine Unabhängigkeit wiedererlangte und die Grenzen des Landes endlich geöffnet wurden, war es üblich, dass Wissenschaftler ins Ausland gingen, um dort ihr Wissen zu erweitern. So auch Karis mit seiner Frau Sirje Karis und ihren gemeinsamen Kindern.

Der zukünftige Präsident Estlands studierte ein Jahr lang als Gastwissenschaftler an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg und konzentrierte sich dabei auf die Struktur und Funktion menschlicher ribosomaler Proteine. Daraufhin erhielt er ein angesehenes Postdoc-Stipendium der Royal Society am Nationalen Institut für Medizinische Forschung (mittlerweile Teil des Francis Crick Instituts), wo er sich einem Forschungsteam unter der Leitung des legendären Molekularbiologen Frank Grosveld anschloss.

Grosveld wurde ein neues Labor an der medizinischen Fakultät der Erasmus-Universität Rotterdam angeboten und er lud nur einige wenige Leute ein, sich seinem Team anzuschließen. Zu ihnen gehörte Karis, der eine führende Position im Labor bekam.

„Er wurde ein Senior Postdoc-Forscher, der von seinen Kollegen sehr geschätzt wurde und zu dem manche von ihnen immer noch Kontakt haben“, sagte Grosveld der Estnischen Forschungsagentur. „Ich erinnere mich an ihn als einen sehr guten Wissenschaftler mit einem großartigen Sinn für Humor.“

Die Gruppe forschte zu einer Gentechnologie, mit der die Expression eines Gens unterdrückt werden kann. Dadurch konnten sie die Funktionen von Genen während ihres gesamten Lebenszyklus untersuchen.

Das Team forschte vor allem an Mäusen, die als Miniaturmenschen gesehen werden. Etwa 95 % der Mausgene sind in ihrer Sequenz identisch mit menschlichen Genen. Mäuse haben auch die gleichen Organe wie Menschen.

Karis’ Forschungsteam, das 18 wissenschaftliche Artikel zusammen veröffentlichte, fand heraus, dass das GATA3-Gen eine wichtige Rolle im Nervensystem und bei der Produktion fetaler Blutzellen spielt.

Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in einer der bekanntesten wissenschaftlichen Zeitschriften, Nature Genetics, was Karis zu „Estlands Spitzenwissenschaftler seiner Zeit“ machte, sagte Raivo Raid, Entwicklungsbiologe an der Universität Tartu.

„Sein Forschungsteam war damals eines der besten der Welt“, fügte der estnische Genetiker Andres Metspalu hinzu. Er glaubt, dass jede Erfolgsgeschichte in der Wissenschaft auf der Arbeit vieler anderer basiert. „Ihre Arbeit hatte zweifellos einen wichtigen Einfluss auf die Gentechnik“, sagte Metspalu.

Etwa zehn Jahre später, im Jahr 2007, erhielten drei Wissenschaftler, zwei Amerikaner und ein Brite, die höchste Anerkennung in der Gentechnik, den Nobelpreis für Medizin, für ihre Arbeit an derselben Technologie, die es möglich macht, die Rolle einzelner Gene für die Gesundheit und bei Erkrankungen zu identifizieren.

Als Karis 1996 mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Estland zurückkehrte, nahm er die neue „Knockout“-Technologie und sein Wissen mit und gründete in seinem Heimatland ein neues Forschungsteam.

„Dies war der Beginn einer neuen Ära in der estnischen Genetik“, glaubt Tambet Tõnissoo, der zu dieser Zeit Student in Karis‘ Labor war.

Das erste Tiermodell

Karis und sein Forschungsteam schufen Estlands erste Knockout-Maus, der das RIC8A-Gen fehlte. Sie entdeckten, dass das RIC8A-Gen essentiell für die frühe Entwicklung von Säugetieren ist. Außerdem stellten sie fest, dass dieses Gen auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Nervensystems spielt. Das Fehlen dieser Zelle würde zu neuromuskulären Defekten, Wachstumsverzögerung, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, unregelmäßigem Herzschlag, neuronaler Migration und sogar postpartalem Tod führen, wie in ihren Artikeln in den ZeitschriftenPLOS ONE (2013) und Developmental Neurobiology (2015) hervorgehoben wurde.

„Sie waren das erste Forschungsteam weltweit, das zeigte, wie wichtig das RIC8-Gen für Säugetiere ist,“ sagte Tõnissoo.

Karis’ Forschungsteam befasste sich im Allgemeinen mit Genen, die an Nervensystem, Herz, Ohren und der sehr frühen fetalen Entwicklung beteiligt sind.

Obwohl die Knockout-Gentechnik extrem teuer war, gerade für eine aufstrebende Wirtschaft, fand Karis die finanziellen Mittel dafür. Kuuse glaubt, dass es dabei zweifellos von Vorteil war, selbst Wissenschaftler zu sein und sein Fachgebiet zu kennen.

Als Entwicklungsbiologe verfügte Karis über ein breites Verständnis von Wissenschaft. Laut seinen ehemaligen Kollegen konzentrierte er sich nie auf nur ein enges Thema. Karis hatte auch die hervorragende Fähigkeit, Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen wie der Zoologie und der Molekularbiologie zusammenzubringen.

Umsetzung eines westeuropäischen Führungsstils

Karis wurde bald Leiter des Instituts für Molekular- und Zellbiologie an der Universität Tartu, wo er den in Westeuropa erfahrenen neuen Führungsstil umsetzte. Er hielt Treffen ab, bei denen jeder die Möglichkeit hatte, seine Meinung zu äußern, und fragte sogar nach der Meinung junger Doktoranden, was es so im Estland der 1990er Jahre noch nie gab. Auch Tarmo Annilo, einer der Doktoranden des Instituts, erinnert sich, wie Karis sich umfassend mit wissenschaftlichen Problemen auseinandersetze und sich aufgrund seiner modernen Standards bessere Ergebnisse erhoffte.

Grosveld besuchte Karis mehrmals, bis Karis bereits Rektor der Universität Tartu wurde (im Jahr 2007).

Karis’ ehemalige Kollegen und Studenten waren hocherfreut, als sie erfuhren, dass er der nächste Präsident Estlands wird. Ihrer Meinung nach wird die faktenbasierte und rationale Denkweise des Wissenschaftlers in den aktuellen unsicheren Zeiten allen zugute kommen.

Grosveld schickte Karis eine Glückwunschnachricht. „Er hat sofort in seiner gewohnt bescheidenen Art reagiert“, sagte der niederländische Wissenschaftler.

Seine ehemaligen Kollegen und Studenten erinnern sich, dass Karis die großartige Gabe hat, sich mit jedem gut zu verstehen und dabei Witze zu machen, sei es mit einem Bauern hinter der Kneipe oder einem Cambridge-Wissenschaftler.

Präsident Karis sagte der Estnischen Forschungsagentur, dass er letzten Endes vor allem die Macht handfester Fakten zu schätzen weiß. „Ein Wissenschaftler wird der Fragen und Hypothesen nicht müde,“ fuhr er fort. „Wenn uns das Wissen fehlt, dann müssen wir das sagen. Wenn ich etwas nicht weiß, dann neige ich dazu, dies offen zuzugeben. Bei Politikern ist mir aufgefallen, dass sie eher mit „Ja“ oder „Nein“ antworten. Alles ist entweder schwarz oder weiß. In der Wissenschaft gibt es so viel mehr Farben, die Forscher dazu ermutigen, immer weiter nachzufragen.“

In den nächsten fünf Jahren werden wir sehen, wie Karis als Präsident Estlands viele wichtige Fragen bewältigen wird. Nur, dass dieses Mal die ganze Gesellschaft sein Labor ist.

Autor des Artikels: Marian Männi

Siehe den Originalartikel hier.

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